FTP in der Kritik – Wie aussagekräftig ist die Functional Treshold Power?

In den letzten Jahren hat sich die Wattmessung im Radsport und Triathlon zur Trainingssteuerung etabliert. Eng damit verknüpft ist der Begriff der FTP (Functional Treshold Power). Immer öfter steht das Konzept der FTP jedoch in der Kritik. Was steckt dahinter?

Zunächst einmal, müssen wir uns mit den Begriffen auseinandersetzen, bevor wir in die Tiefe gehen können. Was ist eigentlich die FTP? Und wie kann man diese ermitteln?

Der amerikanische Sportwissenschaftler Dr. Andy Coggan hat das Konzept der FTP entwickelt. Unter der Functional Treshold Power oder zu deutsch Funktionsleistungsschwelle versteht man die höchste durchschnittliche Leistung, die ein Radsportler für 60min aufrechterhalten kann.

Bei 80-90 Prozent alle Radfahrer liegt diese Leistung +/- im Bereich der individuellen anaeroben Schwelle. Die FTP ist aber nicht zu 100 Prozent identisch mit der anaeroben Schwelle. Das ist der erste Punkt, den man kennen muss, wenn man die Kritik am FTP-Konzept verstehen will.

Als anaerobe Schwelle bezeichnen Sportwissenschaftler den Intensitätsbereich beim Radfahren oder Laufen, an dem sich der maximale Auf- und Abbau von Laktat die Waage hält (maximal steady-state). Steigert ein Athlet an diese Punkt seine Leistung, übernimmt der anaerobe Stoffwechsel zunehmend die Energiebereitstellung.

Mittels Leistungsdiagnostik kann man seine individuelle anaerobe Schwelle (IANS) ermitteln lassen. Dank etlicher Studien wissen wir heute auch, dass sich ein Sportler etwa 40 bis 70 Minuten im Bereich seiner IANS ausbelasten kann.

Anhand dieser Kenntnis hat Andy Coggan seine FTP-Konzept entwickelt und die Funktionsleistungsschwelle als einen Intensitäts-Bereich definiert, den man exakt 60 Minuten aufrechterhalten kann. Für die meisten Radsportler ergibt sich daraus, dass sich die FTP etwa im Bereich der IANS befindet.

Bei der Ermittlung der FTP finde die individuelle Physiologie eines Radfahrers jedoch keine ausreichende Berücksichtigung. Das zumindest kritisieren immer mehr Leistungsdiagnostiker.

Physiologisch betrachtet, ist das auch korrekt. Als typisches Beispiel werden an dieser Stelle gerne zwei sehr unterschiedliche Radsportler herangezogen. Ich greife mal zwei Namen heraus: Tony Martin und Andre Greipel.

Und tatsächlich: der Stoffwechsel von Greipel und Martin könnte nicht unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite haben wir Tony Martin, den absoluten Zeitfahrspezialisten und auf der anderen Seite den Weltklasse-Sprinter Andre Greipel.

Wo liegen die Unterschiede bei diesen Radprofis?

Ohne die genauen Zahlen zu kennen, behaupte ich mal, dass beide Sportler eine überdurchschnittlich hohe FTP haben. Die FPT alleine könnte aber nicht erklären, warum der eine Radler überragend auf dem Zeitfahrrad ist und der andere schon etliche Zielsprints für sich entscheiden konnte.

Es ist relativ einfach, die eigene FTP zu ermitteln. Du musst dich einfach nur auf dein Rad setzen und ein einstündiges Zeitfahren absolvieren. Die Durchschnittsleistung, die du über diesen Zeitraum halten kannst, entspricht deiner FTP.

Klingt fies? Ist es auch. Um in einem solchen Test seine beste Leistung abzuliefern, muss man schon sehr motiviert sein und sich wirklich quälen wollen. Im Wettkampf wird dir das eher gelingen als im Training. Zudem zieht ein solcher Leistungstest immer auch eine relativ lange Regeneration nach sich.

Deshalb haben sich verschiedene Testformate etabliert, mit denen du deine FTP in kürzerer Zeit ermitteln kannst. Beispielsweise der klassische 20min-Test nach Coggan, einen 8-Minuten Test oder den MAP-Test.

Aus leistungsphysiologischer Sicht bleibt aber bei allen Tests ein Problem. Nur anhand des FTP-Wertes kann ich nicht sagen, wie die Leistung unterhalb der anaeroben Schwelle zustande kommt.

Mit anderen Worten: Im Bereich der anaeroben Schwelle werden zu fast 100 Prozent Kohlenhydrate verbrannt, um die für diese Leistung nötige Energie bereitzustellen. Die Fettverbrennung spielt im Schwellenbereich keine Rolle mehr.

Lange Ausdauerleistungen wie einen Ironman oder einen Radmarathon absolvieren wir aber überwiegend im aeroben Stoffwechsel. Hier stehen dem Körper eben nicht nur Kohlenhydrate, sondern auch Fett als Energieträger zur Verfügung.

An dieser Stelle greife ich gerne noch mal unser Profi-Beispiel auf: Ein wesentlicher Faktor neben der Schwellenleistung ist die Laktatbildungsrate. Einige Diagnostiker ermitteln deshalb auch die VLAmax, also die maximale Laktatbildungsrate, um ein individuelles Bild ihrer Athleten zu erhalten.

Die VLAmax gibt Aufschluss darüber, wie ökonomisch ein Radfahrer mit seinen begrenzten Kohlenhydratreserven umgeht. Tony Martin hat beispielsweise eine extrem niedrige Laktatbildungsrate. Das erklärt auch, warum er bei einem Zeitfahren sehr hohe submaximale Durchschnittsleitungen halten kann.

Andre Greipel hat dagegen eine sehr hohe Laktatbildungsrate. Und genau das befähigt in dazu, für kurze Zeit extrem hohe maximale Leistungen abrufen zu können. Weltklasse-Sprinter realisieren in einem Zielsprint teilweise über 2.000 Watt.

Tony Martin verbrennt bis kurz vor seine Schwellenleistung noch Fette, hat aber im Zielsprint kaum eine Chance gegen einen starken Breitensportler. Andre Greipel hat bei längeren Belastungen das Nachsehen, weil er einen relativ hohen Kohlenhydratverbrauch hat.

Was bedeutet das für die Ermittlung der FTP?

Nehmen wir mal den klassischen 20-Minuten-Test. Typischerweise absolviert nach einem vorgegebenen Aufwärm-Programm ein 20-minütiges Zeitfahren. Von der dabei ermittelten Durchschnittsleistung zieht man 5 Prozent ab, um auf die Stundenleistung hochzurechnen.

Für Tony Martin kommt diese Schätzung vielleicht hin, bei Andre Greipel würde ich dagegen annehmen, dass er aufgrund des höheren Kohlenhydratverbrauchs für 20min deutlich höhere Werte treten kann. Um seine FTP zu schätzen, müsste man vermutlich 10-15 Prozent abziehen, um die FTP richtig zu schätzen.

Was hat das nun mit dir zu tun?

Diese Extrem-Beispiele dienen Leistungsdiagnostikern dazu, das FTP-Konzept zu kritisieren. Zieht man nur die FTP zu Rate, um die Trainingsbereiche eines Radprofis zu ermitteln, würde man den einen eventuell überfordern und den anderen unterfordern. Die Trainingssteuerung wäre also suboptimal.

Aus meiner Sicht spielt diese Überlegung für 80-90 Prozent aller Breitensportler jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten von uns haben weder das Talent eines Tony Martins noch das eines Andre Greipels. Daher reicht für uns auch ein einfacher FTP-Test, um die eigene Leistungsfähigkeit einschätzen zu können.

Du kannst aber auch noch andere Werte und Informationen zu Rate ziehen, um ein besseres Bild von deinem Stoffwechsel zu bekommen. Dafür brauchst du nicht mal unbedingt eine aufwendige und vor allem teure Leistungsdiagnostik zu absolvieren.

Wenn du dein Training regelmäßig mit einer Multisport-Uhr aufzeichnest, dann kannst du in der dazugehörenden Software deine geschätzte VO2max auslesen. Ich tracke mein Training mit einer Garmin Fenix und werte die Daten mit Garmin Connect und Traingpeaks aus. Je länger die Daten sammelst, desto genauer wird die Prognose der Software.

  • Wenn dein relativer VO2max-Wert unter 60ml O2 /kg/min liegt, dann hast du noch sehr viel Entwicklungspotenzial.
  • Solltest du Werte über 80ml O2 /kg/min erreichen, kannst du dich schon mal um einen Profi-Vertrag kümmern.

Im Bereich der VO2max liegt für 90 Prozent der Radsportler ein hohes Entwicklungspotenzial für mehr Leistung. Ein Trainigsziel für dich sollte daher lauten, die VO2max zu steigern.

Du kannst auch mal einen maximalen Sprint-Test absolvieren. Setz dich auf dein Rennrad und sprinte einfach mal mit dem dicksten Gang von Null auf Max. Danach schaust du dir deine maximale Leistung an.

  • Schießen deine Werte auf über 1000 Watt, dann hast du vermutlich eine hohe VLamax. Herzlichen Glückwunsch. Du bist der geborene Sprinter.
  • Liegst du deutlich drunter – bei Männern schätze ich zwischen 500 und 700 Watt – dann hast du eine durchschnittliche VLamax. Aus dir wird nie ein Sprinter.
  • Liegst du unter 500 Watt, dann fährst du entweder noch nicht sehr lange, oder du bist vermutlich schon ein echter Diesel unter den Ausdauersportlern.

Hinweis: Das ist keine evidenzbasierte Methode, aber du bekommst quasi gratis schon mal ein etwas genaueres Bild von deinem Stoffwechsel.

Für hohe Sprintleistungen brauchst du nämlich eine hohe Laktatbildungsrate. Die Frage ist nun, wes du mit der Information anfängst?

Hier kommt es ein wenig auf deine Ziele an! Wenn du Radsportler bist und gerne mal ein Kriterium fährst oder im Ortschildsprint vorne sein willst, dann brauchst du eine hohe VLamax.

Interessiert du dich aber eher fürs Zeitfahren, Radmarathons oder Ironman-Triathlon, dann ist eine hohe VLamax eher kontraproduktiv.

In diesem Fall liegt ein weiteres Trainingsziel für dich darin, deine VLamax zu senken!

Kann ich also weiterhin mit der FTP arbeiten oder brauche ich eine andere Form der Diagnostik?

Ich bin davon überzeugt, dass die Ermittlung der FTP für die allermeisten Agegrouper völlig ausreichend ist, um die eigenen Trainingsbereiche zu bestimmen.

Vielleicht trifft man die Bereiche nicht ganz so exakt, aber mal ehrlich, ob ich 5 Prozent mehr oder weniger trete, macht für mein Training keinen großen Unterschied. Zumal man auf der Straße eh schon damit kämpfen muss, exakte Leistungsvorgaben einzuhalten.

Nehmen wir mal an, dass deine optimale Fettverbrennung bei 180 Watt (Fatmax) liegt, dann ist es kein Beinbruch, wenn du im Training auch mal 190 Watt trittst. Die Fettverbrennung hört dann nicht schlagartig auf, lediglich der Kohlenhydratverbrauch steigt an diesem Punkt leicht an.

Und mal ehrlich, muss man die Trainingsbereiche immer bis zur Grenze ausnutzen? Fährst du deine Grundlagenfahrten bei zirka 65 Prozent deiner FTP, liegst du auf der sicheren Seite.

Und auch für dein Pacing im Rennen gibt es verschiedene Strategien: Offensiv bedeutet, dass du auf der Langdistanz an die Grenzen deiner Trainingsbereiche gehst. Für die meisten Triathleten würde ich aber eher eine defensivere Taktik empfehlen, schließlich musst du nach dem Radfahren auch noch Laufen.

Mit einer offensiven Strategie fährst du vielleicht 5min schneller, dafür kostet sie dich vielleicht 10min beim Marathon.

Egal, wie du deine Trainingszonen ermittelst, ich wünsche dir viel Erfolg für die Saison!