Von der Krebs-Therapie zur Langdistanz-Premiere nach Roth
Krebs. Eine Diagnose, die dein Leben auf den Kopf stellt. Krebs trifft uns meist unvorbereitet. Was dann folgt, ist eine langwierige Therapie mit ungewissem Ausgang. So erging es auch Marie-Jan Gehrke-Heck.
„Am 17. Juni 2016 kam der Anruf von meinem Arzt“, erinnert sich die Kölnerin. „Ich war gerade auf der Autobahn unterwegs, als mich mein Arzt über die Diagnose Brustkrebs informiert hat. Kein günstiger Zeitpunkt für sowas. Leck mich am Arsch, ich habe für sowas keine Zeit, war mein erster Gedanke“
Heute kann Marie-Jan locker damit umgehen, die Therapie war erfolgreich und liegt nun über ein Jahr zurück. Im Juli hat die taffe Unternehmerin in Roth ihre erste Langdistanz gefinisht. Eine außerordentliche Leistung, die ihre Ärzte ihr nicht zugetraut hätten.
Ich hab‘ keine Zeit für Krebs! Mit solchen und anderen positiven Glaubenssätzen hat sich Marie-Jan immer wieder selbst Mut gemacht.
Zwischen der Diagnose und Zieleinlauf in Roth lag ein langer Leidensweg, der relativ unspektakulär anfing. Im Mai entdeckte die begeisterte Triathletin im Trainingslager im bayerischen Beilngries einen geschwollenen Lymphknoten. Da dieser nicht wieder abschwellen wollte, stand im Juni die erste OP an. Der Knoten wurde rausgestanzt und im Labor untersucht. Mitte Juni gab es dann Gewissheit: Das Gewebe ist bösartig verändert.
CT, MRT, Mammographie, PetScreening – es folgte eine sechswöchige Suche nach dem Tumor. Ende Juli war dann der zweite OP-Termin angesetzt. Die Ärzte setzten schon mal einen Port an der Schulter, also einen Zugang, über den später die Medikamente direkt in die Herzvene geleitet werden konnten.
Chemotherapie. Bereits das Wort verursacht Beklemmungen bei den meisten Menschen. Doch vor der ersten Chemo stand noch eine dritte OP auf dem Therapieplan. Am Brustbein wurde ein auffälliger Lymphknoten gefunden. Um diesen zu entfernen, mussten die Ärzte den Rippenbogen öffnen und die Lunge lahmlegen. Dabei verklebten die Lungenflügel, sodass die körperliche Leistungsfähigkeit von Marie-Jan massiv eingeschränkt war.
Mir geht es gut. Ich schaffe das!
„Für einen Kilometer Spazieren gehen, habe ich nach dem Eingriff fast eine Stunde gebraucht“, erinnert sich MJ. „Das war wie ein körperlicher Reset. Vor der Erkrankung war ich durch meinen Sport recht fit und konnte einen Halbmarathon unter 01:50 Stunde laufen. Es ist schon sehr frustrierend, wenn man dann merkt, wie schnell der Körper durch solch einen Eingriff abbaut.“
Während der gesamten Behandlungsphase hat Marie-Jan versucht, zumindest das gewohnte Lauftraining beizubehalten, auch wenn die gewohnte Leistung nicht mehr zu erreichen war. Nach der Operation am Brustkorb konnte man eigentlich nicht mehr von Leistungsfähigkeit sprechen. Gehen war zu diesem Zeitpunkt bereits eine erschöpfende Tätigkeit.
Am 26. August ging es dann mit der Chemotherapie los. Im Abstand von 14 Tagen standen zunächst vier Behandlungen mit dem Wirkstoff EC an. Dieser setzt das Immunsystem gewissermaßen auf Null.
Verabreicht wurden die giftigen Chemikalien immer freitags. „Am Wochenende ging es mir immer noch recht gut. Die Übelkeit kam dann ab Montag. Der Geruch von einem Stück Brot hat solche Übelkeit bei mir ausgelöst, dass ich einfach vom Stuhl gekippt bin“, erinnert sich Marie-Jan.
Es ist ein blödes Gefühl, wenn man auf Ärzte vertrauen muss und nichts machen kann. Man fühlt sich einfach nur machtlos.
Die Chemo sagt die Kölnerin heute, sei das Schlimmste an der ganzen Erkrankung gewesen. Spazierengehen sei das einzige, was etwas geholfen habe. Die Übelkeit habe dann so bis Mittwoch angehalten und ab Donnerstag wurde es dann langsam besser.
Nach der Behandlung mit EC folgten 12x Chemo mit dem Wirkstoff Taxol. Die letzte Chemo wurde am Freitag, den 13. Januar 2017 verabreicht. Ende Januar wurde Marie-Jan dann zum vierten Mal operiert. In der Brust wurde das erkrankte Gewebe und 17 Lymphknoten entfernt, die aber zum Glück nicht auffällig waren.
Um sich von den Strapazen der Chemo zu erholen, gönnten sich Marie-Jan und ihr Mann Mike einen Urlaub in Kenia. Gewissermaßen als Reha, bevor dann Anfang März die Bestrahlung losging. Insgesamt gab es 40 Termine, täglich, von montags bis freitags.
Die letzte Bestrahlung fand dann am 2. Mai 2017 statt. Bereits zwei Tage später flogen Mike und Marie-Jan in ein Triathloncamp zu uns nach Mallorca. Mit duns hatte sie über ihre besondere Situation gesprochen und geklärt, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten teilnehmen wolle.
Zum Abschluss der Campwoche nahm Marie-Jan dann gemeinsam mit Mike und Patricia am Ironman 70.3 Mallorca teil. Ohne ein Schwimmtraining in den letzten Monaten absolvierte sie die 1.9 km lange Schwimmstrecke und holte sich langsam wieder Selbstvertrauen im Sport. Auch das Lauf- und Radpensum im Trainingslager vertrug ihr Körper gut und langsam reifte ein Plan.
Nicht unterkriegen lassen, das wird schon.
Ende Mai 2017 rief mich Marie-Jan dann an und erzählte mir von ihrer Idee, im kommenden Jahr in Roth starten zu wollen. Ich hab eingewilligt, Marie-Jan auf ihrem Weg zu begleiten.
Mitte Juni haben wir beiden dann das Projekt „Meine erste Langdistanz“ begonnen. In kleinen Schritten, immer das große Ziel vor Augen, hat sich Marie-Jan von Woche zu Woche gesteigert. „Ich hatte immer vor Augen, was ich vor meiner Erkrankung drauf hatte. Das war für mich Ansporn. Ich habe mir immer gesagt, da kommst du wieder hin“, sagt die Kölnerin.
„Mein Coach hat mich wirklich ganz behutsam aufgebaut und mir immer das Gefühl gegeben, dass ich mein Ziel erreichen kann. Darauf habe ich vertraut. In der Situation darf man sich auch nicht verrückt machen lassen und das eigene Trainingspensum mit dem anderer Sportler vergleichen. Mein Mann hat beispielsweise schon früh ganz andere Umfänge absolviert als ich.“
Der Weg hat sich gelohnt. Neben vielen kleineren Testwettkämpfen folgte im Juni die Generalprobe beim Ironman 70.3 im Kraichgau. „Meine Pacing-Strategie ist voll aufgegangen und das hat mir einen weiteren Schub Selbstvertrauen gegeben“, sagt Marie-Jan.
Am 01. Juli 2018 war es dann soweit. Challenge Roth. Der erste Triathlon über die volle Ironman-Distanz für Marie-Jan: 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und anschließend 42 km Laufen. Nach 12:39:25 blieb die Uhr für Marie-Jan stehen. Aus sportlicher Sicht lag der bis dahin längste Tag hinter ihr. Schwimmen in 1:19 Stunde, Radfahren in 6:30 Stunden und 4:40 Stunden für den Marathon – das sind die Split-Zeiten von Marie-Jan.
Mir hat Bewegung sehr geholfen. Das halte ich für wichtig, dass man Spazieren geht, an die frische Luft kommt und sich nicht einfach hängen lässt.
Und das Beste an der Geschichte, Marie-Jan konnte jeden Meter ihrer ersten Langdistanz voll genießen. Fast schmerzfrei hat sie die 226 km bestritten. Lediglich ein eingeklemmter Schleimbeutel am Knie hat sie zu kurzen Gehpausen gezwungen, ansonsten konnte sie den Marathon durchlaufen. Im Ziel hat es sogar noch für ein Tänzchen gereicht.
Die Geschichte von Marie-Jan Gehrke-Heck ist zutiefst beeindruckend. Zwischen dem Ende einer beschwerlichen Krebstherapie mit dem „vollen Programm“ aus Chemo, Bestrahlung und diversen OPs und ihrer ersten Langdistanz liegen gut 12 Monate. Sicherlich kann sich unser Körper an frühere Leistungen erinnern und daran anknüpfen, ansonsten wäre ein solches Wagnis auch nicht zu verantworten gewesen.
Marie-Jan hat vor ihrer Erkrankung bereits jahrelang Triathlon betrieben. Auf diesem Fundament haben wir aufgebaut. Ich war mir sicher, dass ihr Bewegungsapparat behutsam aufbauende Umfänge verkraftet. Der Rest ist smarte Planung. Mit einem systematischen Aufbau bekommt man auch einen relativ unfitten Sportler fit genug für eine Langdistanz. Ich wusste, dass sie das schafft. Wie souverän MJ aber dann die 226 km bei der Challenge Roth abgespult hat, hat mich doch etwas überrascht.
Ich finde, das ist eine Geschichte, die Mut macht. Nicht aufgeben, ist die Botschaft. Kämpfen lohnt sich. Also lass dich vom Krebs nicht unterkriegen!