Radfahren: Training und Racing bei Hitze
Bei der Planung der Rennstrategie und des Pacings konzentrieren wir uns gerne auf Wattwerte, Kohlenhydratzufuhr und Leistungsdiagnostik. Unter idealen Bedingungen kann man so mittlerweile sehr genaue Renn-Prognosen erstellen. Es gibt aber einen Faktor, der einen Strich durch unsere Gleichung machen kann. Hitze!
Betrachten wir die zurückliegenden großen Rennen der Saison 2023, wirst du feststellen, dass seit dem Ironman Hamburg bis auf eine Langdistanz alles Hitzerennen waren. In den vergangenen Jahren glich es eher einem Lottospiel, ob es am Renntag heiß oder kalt seien würde. Seit diesem Jahr zeichnet sich jedoch ein klarer Trend ab: Auch in Nord- und Zentraleuropa müssen wir uns im Sommer auf heiße Rennen als Regelfall einstellen.
Was bedeutet das für deine Planung?
In meiner Tätigkeit als Triathlon Coach konnte ich in den vergangenen Jahren immer häufiger beobachten, dass einige Athleten an heißen Wettkampf-Tagen regelrecht hochgehen. Dennoch scheint nicht jeder Athlet gleichermaßen unter heißen Bedingungen zu leiden. Deshalb versuche ich das Thema Sport bei Hitze mal für euch aufzubereiten.
Der menschliche Körper ist ein homöostatischer Organismus. Wir haben Rückkopplungsmechanismen, die dafür sorgen, dass Dinge wie unsere Körpertemperatur in einem Gleichgewicht gehalten werden. Idealerweise liegt deine Körperkerntemperatur bei 36,5-37 Grad.
Dabei ist unser Körper immer darum bemüht, die Körpertemperatur möglichst konstant zu halten. Sinkt oder steigt die Temperatur bspw. durch äußere Einflüsse, reguliert der Körper die Temperatur durch komplexe Regelkreise.
Bis zu einem gewissen Grad gelingt dem Körper das auch ziemlich gut. Beim Sporttreiben unter extremen Klimabedingungen kann der Organismus aber auch an seine Grenzen gelangen.
Was passiert beim Sporttreiben?
Bewegung braucht Energie. Sobald wir uns sportlich betätigen, steigt der Energiebedarf. Allerdings liegt der Wirkungsgrad des menschlichen Stoffwechsels nur bei etwa 25 Prozent. D.h. etwa ein Viertel der beim Radfahren aufgebrachten Energie wird für den Vortrieb genutzt, der Rest geht als Wärme verloren bzw. wird dazu genutzt, die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten.
Je schneller wir fahren, desto mehr Energie müssen wir aufwenden, desto mehr Wärme fällt an. Beim Radfahren können wir den Energieverbrauch direkt messen. Ein Powermeter zeigt deinen Energiebedarf ermittelt deine Leistung sekundengenau und zeigt diese auf dem Radcomputer in Echtzeit an.
Die Einheit der aufgebrachten Leistung ist Watt. Physiologisch betrachtet ist ein Watt gleich 1 Joule pro Sekunde. Wir können an der Wattzahl also direkt den Energieverbrauch ablesen. Wenn du deine Durchschnittsleistung für eine Stunde Radfahren betrachtest, kannst du auch berechnen, wie viel Wärme du dabei produziert hast.
Wärmeproduktion H = (P/kg x Gewicht / 0,25) x 75
Beispiel: Ein Radfahrer wiegt 80kg und hat eine Schwellenleistung von 250 Watt. Wenn unser Radler nun eine Stunde mit seiner Schwellenleistung unterwegs ist, produziert er dabei rund 750 Watt an Wärmeenergie.
H = 3,125 x 80 = 250
250 / 0,25 = 1.000
1.000 x 0,75 = 750 Watt
Je nachdem äußeren Bedingungen, kann unser Radler einen Teil dieser Wärme an die Umgebung abgeben. Der verbliebende Teil führt dazu, dass unsere Körpertemperatur steigt. Das Problem: Unsere Stoffwechselleistung nimmt mit steigender Temperatur ab und der Körper wendet daher zunehmend mehr Energie auf, um die Temperatur zu regulieren. Damit steht für den Vortrieb weniger Energie zur Verfügung. Bereits ab einem Grad mehr Körpertemperatur sinkt die Leistungsfähigkeit des Stoffwechsels.
Um dennoch leistungsfähig zu bleiben, müssen wir bei schwierigen Klimabedingungen für ausreichend Kühlung sorgen. Es kommt also darauf an, wie viel Wärmeenergie wir unter Belastung abgeben können, um den Anstieg der Körpertemperatur in kritische Bereiche zu vermeiden.
Die Wärmebilanz beim Radfahren
Um deine Wärmebilanz beim Radfahren zu berechnen, kannst du folgenden Formel verwenden:
E = H x R x C
Das H, also die Wärmeproduktion kennst du bereits. Um damit eine Bilanz zu erstellen, musst du dir anschauen, wie viel Wärme dein Körper abgeben kann. Das R in der Formel steht für die Wärmeabgabe durch Strahlung und das C für die Wärmeabgabe durch Konvektion.
Wärmeabgabe durch Strahlung
R = 9,1 x (Tskin – Twb)
Tskin steht für deine Hauttemperatur. Wir nehmen einfach mal eine typische Hauttemperatur von 34 Grad Celsius an.
Twb steht Feuchtkugeltemperatur. Um diesen Wert zu verstehen, hole ich etwas aus:
Schwitzen ist der Mechanismus, mit dem unser Körper seine Temperatur reguliert. Dabei wird Wasser in die Peripherie des Körpers transportiert und verdunstet auf der Hautoberfläche. Dabei entsteht Verdunstungskälte, die für Kühlung der Haut sorgt. Dadurch wird auch das Blut in den Gefäßen der Haut gekühlt und fließt so mit niedrigerer Temperatur wieder zurück in den Körper. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das sehr gut. Wie gut unser Kühlsystem funktioniert, hängt aber davon ab, wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist.
Damit Wasser auf der Haut verdunsten und damit für Kühlung sorgen kann, sollte die Luft möglichst trocken sein. Bei zunehmender Luftfeuchtigkeit wird es schwerer, Wasser an die Umgebungsluft abzugeben. Der Körper versucht dennoch, sich weiterhin durch Schwitzen abzukühlen und steigert die Schweißrate. Das überschüssige Wasser, welches wir nicht verdunsten können, bildet sichtbare Schweißperlen und tropft ab.
Betrachtet man jetzt das Mikroklima auf der Haut, dann stellt sich hier abhängig von den klimatischen Bedingungen früher oder später eine Sättigung ein. Die Lucht kann kein weiteres Wasser mehr aufnehmen. Die Temperatur zu diesem Zeitpunkt bezeichnet man als Feuchtkugeltemperatur.
Wie hoch diese Feuchtkugeltemperatur ist, hängt von der Außentemperatur T und der relativen Luftfeuchtigkeit RH ab. Kennst du diese Werte für deinen Wettkampftag, kannst du die Feuchtkugeltemperatur mit dieser Formel berechnen:
Twb = T x ARCTAN (0,151977 x (RH + 8,313659)0,5) + ARCTAN (T + RH) – ARCTAN (RH x 1,676331) + 0,00391838 x RH1,5 x ARCTAN (0,023101 x RH) – 4,686035
Bei trockener Luft ist die Feuchtkugeltemperatur relativ niedrig, bei feuchter Luft steigt sie an. Ab 22 Grad erreicht sie einen kritischen Wert, ab dem die Temperaturabgabe deutlich erschwert wird.
Bei 30 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit liegt die Twb bei 22 Grad. Bei 35 Grad reichen bereits 30 Prozent Luftfeuchtigkeit aus, um einen Wert von 22 Grad zu erreichen. Für unser Beispiel nehmen wir mal diese kritische Feuchtkugeltemperatur an.
Nun können wir die Wärmeabgabe durch Strahlung berechnen:
R = 9,1 x (34 – 22) = 109 Watt
Bei den angenommenen klimatischen Bedingungen verliert unser Radfahrer also 109 Watt an Wärmeenergie durch Strahlung.
Wärmeabgabe durch Konvektion
Durch Konvektion verliert unser Körper ebenfalls Wärme. Das können wir mit folgender Formel darstellen:
C = 12,5 x v0,6 x (Tskin – Twb)
Wie du sehen kannst, hängt die Wärmeabgabe durch Konvektion nicht nur von den klimatischen Bedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit) ab, sondern auch von der Geschwindigkeit, mit der du dich fortbewegst. Je schneller du unterwegs bist, desto größer ist der Kühlungseffekt durch Luftaustausch.
Daran kannst du auch sehen, dass Profis gegenüber Hobbysportlern bei heißen Temperaturen Vorteile haben. Zum einen sind Profi-Sportler in der Regel leichter als der durchschnittlicher Hobbysportler und zum anderen sowohl beim Laufen als auch beim Radfahren schneller unterwegs.
Nehmen wir mal eine Geschwindigkeit von 30km/h Stunde an, dann liegt die Wärmeabgabe durch Konvektion bei
Damit wir auf das richtige Ergebnis kommen, habe ich die Geschwindigkeit von km/h in m/s umgerechnet. 1 km/h sind 0.27777777777778 m/s.
C= 12,5 x 8,330,6 x (34 – 22) = 535 Watt
Die Netto-Wärmeproduktion unseres Radlers bei einer angenommenen Leistung von 250 Watt liegt also bei 106 Watt pro Stunde.
E = 750 – 109 – 535 = 106 Watt
Aufgrund der relativ hohen Bewegungsgeschwindigkeit von 30km/h hält sich der Wärmeüberschuss trotz der extremen Temperaturen in Grenzen.
Anders sieht es aus, wenn unser Sportler bei gleichen Temperaturen mit 250 Watt unterwegs ist. Nehmen wir mal an, die Leistung reicht für einen Tempo von 12km/h (5:00min/km), dann sinkt die Wärmeabgabe durch Konvektion auf 309 Watt. Pro Stunde produziert unser Sportler dann 332 Watt an Wärmeenergie.
Welchen Einfluss hat die Wärmeproduktion auf die Körpertemperatur?
Damit du diese Zahlen besser einordnen kannst, rechnen wir jetzt noch aus, wie sich die Körpertemperatur durch die jeweilige Wärmeproduktion verändert.
Um 1 Liter Wasser um 1 Grad Celsius zu erwärmen, braucht man 1 Kilokalorie. Um den Temperaturanstieg auszurechnen, musst du also die Wärmeproduktion von Watt in Kalorien umrechnen. 1 Watt entspricht einem J/s.
Um zu berechnen, um wie viel Grad sich die Körpertemperatur eines Radfahrers erhöht, können wir die Formel für Wärmeübertragung verwenden:
Q = m * c * ΔT
Hierbei steht Q für die übertragene Wärme, m für die Masse des Körpers, c für die spezifische Wärmekapazität des Körpers und ΔT für die Temperaturänderung.
Die spezifische Wärmekapazität des menschlichen Körpers beträgt etwa 3,5 Joule pro Gramm pro Grad Celsius (3,5 J/g°C). Da unser Radfahrer 80kg wiegt, beträgt die Masse (m) 80.000 g.
Die übertragene Wärme (Q) kann mit der Formel Q = P * t berechnet werden, wobei P die Leistung (Watt) und t die Zeit (in Stunden) ist.
In Ihrem Fall beträgt die Leistung 106 Watt und die Zeit 1 Stunde.
Damit können wir die Berechnung durchführen:
Q = P * t = 106 W * 1 h = 106 Wh
Um die Temperaturänderung (ΔT) zu berechnen, stellen wir die Formel um:
ΔT = Q / (m * c)
ΔT = 106 Wh / (80.000 g * 3,5 J/g°C)
Beachten Sie, dass wir die Wattstunden (Wh) in Joule umrechnen müssen, da die Einheit der spezifischen Wärmekapazität Joule pro Gramm pro Grad Celsius (J/g°C) ist. 1 Wattstunde entspricht 3600 Joule.
ΔT = (106 Wh * 3600 J/Wh) / (80.000 g * 3,5 J/g°C)
ΔT = 381.600 / 280.000 = 1,36 Grad Celsius
Nach unserer Berechnung wird die Körpertemperatur unseres Radlers bei einer Stunde mit 250 Watt um rund 1,36 Grad erwärmen.
Vergleichen wir das mit der Wärmebilanz unseres Läufers, ergibt sich ein anderes Bild. Bei einer Netto-Wärmeproduktion von 332 Watt pro Stunde würde sich bei den beschriebenen Klimatischen Bedingungen (hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit) die Körpertemperatur um 4,27 Grad erhöhen. Damit kommen wir theoretisch in einen kritischen Bereich von über 41 Grad Celsius.
Um sich selbst nicht zu gefährden, reduziert sich bei steigender Körpertemperatur die Stoffwechselleistung. Zudem wird mehr Energie für die Thermoregulation aufgewendet und weniger in Vortrieb.
Praxistipps für Sport bei Hitze
Du wusstest vermutlich schon vorher, dass extreme Wetterbedingungen großen Einfluss auf deine Leistungsfähigkeit haben. Nicht jeder kommt mit Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit gleichermaßen gut zurecht. Dennoch sollten wir uns aufgrund des Klimawandels darauf einstellen, dass wir in Zukunft auch in gemäßigten Breiten unsere Rennen öfter unter heißen Bedingungen bestreiten werden.
Das ist jedoch kein Grund, frustriert zu sein. Es gilt einfach nur diese Gleichung in deine Vorbereitung mit aufzunehmen, indem du Strategien zur Akklimatisierung an Hitze entwickelst.
Akklimatisierung an Hitze
Grundsätzlich kann man sagen, dass schwerer Sportler mehr unter der Hitze leiden, weil ein Körper mit mehr Volumen Wärme schlechter abgeben kann. Eine Strategie zur Kitze-Adaptation kann also ein smartes Gewichtsmanagement sein.
Im Idealfall hast du natürlich die Möglichkeit, dich frühzeitig auf die erwarteten Klimabedingungen anzupassen. Dafür wäre eine stabile Wetterlage wünschenswert. Profi-Triathleten fliegen beispielsweise frühzeitig nach Hawaii, damit sich der Körper an das Klima anpassen kann. Oder sie trainieren vorher bereits in sehr ähnlichen Klimabedingungen.
Für uns Hobbysportler ist es schwieriger, den Trainingsort nach den klimatischen Bedingungen auszusuchen. Wenn du hitzempfindlich bist, könntest du aber beispielsweise ein Teil deines Trainings auch in Sommer auf dem Rollentrainer absolvieren, um dich an die Hitze zu gewöhnen.
Pre-Cooling
Ein weiterer Punkt ist eine Kühlstrategie. Das fängt übrigens schon vor dem Rennen an. Bei heißen Temperaturen verlieren wir schon vor dem Startschuss Energie. Deshalb setzen immer mehr Profisportler auf Precooling. Das fängt für mich bereits mit der Auswahl des richtigen Hotels aus. Deine Unterkunft sollte eine Klimaanlage haben, damit du nicht schon in den Nächten vor dem Rennen unter der Hitze leidest und gut schlafen kannst.
Und auch am Morgen vor dem Start solltest du versuchen, dich nicht unnötig den heißen Temperaturen auszusetzen. Studien haben gezeigt, dass sich die Leistung von Athleten bei Hitze um 3 Prozent verbessern lässt, wenn diese vor dem Start ihre Körpertemperatur mit geeisten Handtüchern oder Kühlwesten abgekühlt wurden.
Es gibt Hersteller, die Kühlwesten für Sportler herstellen. Wenn dir Hitze im Wettkampf große Probleme bereitet, solltest du über eine solche nachdenken. Die Firma Inuteq bietet Kühlwesten für Sportler an: https://inuteq.com/bodycool-speed-coolover/
Cooling im Rennen
Ein Großteil der Temperatur-Rezeptoren befindet sich am Kopf. Hier sind wir auch besonders sensible für eine Überhitzung. Von daher solltest du darauf achten, im Rennen im wahrsten Sinne einen „kühlen Kopf“ zu bewahren.
Das fängt beim Radfahren mit der Wahl des richtigen Helmes an. An heißen Tagen gilt Belüftung vor Aerodynamik. Außerdem kannst du an Verpflegungsstellen zusätzliches Wasser aufnehmen und dir über den Kopf gießen.
Beim Laufen wächst der Einfluss der Temperatur und eine gute Cooling-Strategie wird noch wichtiger. Du solltest jede Gelegenheit zur Abkühlung mitnehmen. Dafür darfst du ruhig an der Verpflegungsstellen etwas langsamer machen. Kippe dir Wasser über den Kopf, stecke dir Schwämme in den Einteiler und sorge dafür, dass du ausreichend hydriert bleibst.
Einige Profis setzen auf kühlende Wirkung der Bekleidung. So trägt Anne Haug seit Jahren schon ein spezielles Stirnband, das den Kopf kühl hält. Und auch die Hersteller von Triathlonanzügen verwenden Materialien wie Cold-black, welches einen Großteil der Sonneneinstrahlung reflektiert und so für weniger zusätzlich Wärmeaufnahme sorgt.
Die wichtigste Maßnahme ist jedoch deine Verpflegungsstrategie. Bei Hitze ist eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit unabdingbar – und zwar über deine kalkulierte Fueling-Strategie hinaus! Achte jedoch darauf, dass du bei langer Renndauer nicht nur reines Wasser aufnimmst, sondern auch Elektrolyte zuführst. Ich empfehle die Einnahme von Salztabletten.
Letztlich musst du das aber vorab ausgiebig testen und deine eigene Strategie für den Umgang mit Hitze entwickeln.
Viel Erfolg!